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Schätzchen des Monats: Laura Niebuhr und die Fotografie „Pelze“ von Petra Gall

1. Dezember 2023

Laura Niebuhr liebt Kunstgeschichte, Bewegungsgeschichte und Digitalisierung. Im Gespräch erzählt Lauri, wie sie in das Digitalisierungsprojekt der 80er und 90er Jahre Frauen- und Lesbenbewegung involviert wurde. Wir quatschen über ihre lustigen Anfänge in Berlin, tiefe Verbindung zur queer-aktivistischen Szene und wie die Archivarbeit nicht nur ein Job, sondern eine Leidenschaft geworden ist. Lauri teilt nicht nur Einblicke in ihre tägliche Arbeit, sondern bringt auch ein besonderes Schätzchen aus dem Museum mit – ein Foto, das Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählt.

Hi Lauri, schön, dass du die Zeit gefunden hast mit mir zu sprechen.

Sehr gerne, ich wollte schon lange Schätzchen des Monats sein!

Jetzt hast du es geschafft! Kannst du dich für die Lesenden dort draußen, die dich nicht kennen, kurz vorstellen?

Ich bin seit September 2022 im Schwulen Museum bei einem Digitalisierungsprojekt dabei, mit meiner geschätzten Kollegin Janika Seitz. Wir digitalisieren einen Teilbestand des Nachlasses von Petra Gall. Es geht um die Frauen- und Lesbenbewegung der 80er und 90er Jahre in Berlin.

War das für dich schon länger ein Thema oder bist du durch das Gall-Projekt da reingekommen.

Die Berliner Szene war für mich bisher nicht Thema, weil ich tatsächlich auch erst seit letztem Jahr hier lebe. Jetzt ist es sehr spannend, vor Augen zu haben, was tagtäglich in Berlin so passiert ist, zumindest an den Orten, an denen Petra Gall so war.

Und wo warst du vor zwei Jahren, als du noch nicht in Berlin warst?

Ich war vorher in Hamburg. Während der Covid-Zeit hatte ich meinen Master an der TU in Kunstwissenschaft angefangen.  Aber da war schon klar, dass ich nach Berlin ziehen werde, um ihn zu Ende zu bringen. So bin ich dann auf die Stelle im SMU für ein Digitalisierungsprojekt, das von digiS koordiniert wird, aufmerksam geworden und hab mich beworben, weil ich die Ausschreibung cool fand. Das hat dann auch geklappt, und ich habe mir gedacht, dann soll es wohl so sein.

Wie sieht so dein Arbeitsalltag im Petra-Gall-Projekt aus?

Also den durchschnittlichen Tag gibt es so nicht. Da es ja Projektarbeit ist, gibt es immer viele unterschiedliche Schritte, die erledigt werden müssen. Eine Zeitlang haben wir vor allem die Negative und Kontaktabzüge gesichtet und überlegt, was aus dem Bestand überhaupt digitalisiert werden soll. Also welche Serien nehmen wir jetzt mit auf, weil sie auch zeithistorisch interessant sind, welche ikonographischen Einzelbilder wählen wir aus, und wir haben auch überlegt, welche abgebildeten Persönlichkeiten wichtig sind. Also Frauenrechtlerinnen oder Künstlerinnen oder Autorinnen, die in der Zeit eine Rolle gespielt haben.

Gab es während deiner bisherigen Arbeit im Petra-Gall-Projekt ein Highlight?

Zum Beispiel, welche Erkenntnisse wir aus ihren Walpurgisnacht-Demonstrationsfotos der 1980er und -90er gewinnen. Erstens sehen die Leute genauso aus wie heute, so vom Style her. Das ist ein bisschen witzig. Das Tragische daran ist aber, dass auch die Plakate und die Forderungen teilweise wirklich dieselben sind wie heute. Es hat sich also nicht so viel verändert.

Vielleicht kannst du uns an der Stelle verraten, wo man eure Arbeit den sehen kann?

Wir haben 2000 Digitalisate erstellt, die veröffentlicht werden auf museum-digital.de. Das ist so eine übergreifende Plattform, wo alle möglichen Museen ihre digitalisierten Bilder und Objekte präsentieren. Wir sind da auch mit dabei.

Wir haben da mal eins ihrer Tina-Turner-Porträts gefunden und im Newsletter verwendet.
Du arbeitest ja jetzt in einem Projekt, dass ja dann irgendwann auch ausläuft. Hast du Pläne, wie du dem Schwulen Museum darüber hinaus verbunden bleiben könntest? Also wie sieht auch die Zukunft für dich aus?

Schlechte Frage (lacht). Ja, unser Projekt läuft aus und es gibt kein Folgeprojekt. Das ist tragisch. Die Arbeit ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der Mengen an tollen Archivmaterialien, die es hier gibt. Das betrifft auch unabhängig von Petra Gall den gesamten Bestand. Meine Hoffnung ist, dass es noch weitere Wege und Möglichkeiten gibt, um da dran weiterzuarbeiten. Archivarbeit macht mir Spaß, und ich finde, es ist auch eine wichtige Aufgabe, den Menschen einen Einblick zu geben in die queere Geschichte, die bei uns lagert.

Ich drück die Daumen, dass es klappt. Kommen wir zu deinem Schätzchen, was hast du uns mitgebracht?

Es ist natürlich ein Bild von Petra Gall aus unserem Bestand. Es zeigt eine Gruppe von Menschen vor dem Pelze Mutlimedia. Das war ein Aktionszentrum und Kunstort, da haben von 1981 bis 1996 Performances und Ausstellungen stattgefunden. Das Bild ist von 1982, in der Woche der Internationalen Frauenfestspiele. Das Pelze Multimedia war einer der Veranstaltungsorte, und da war eine Petra-Gall-Ausstellung. Diese Meta-Ebene finde ich schön: Dass sie uns ein Bild gegeben hat von dem Ort, an dem ihre Bilder ausgestellt wurden.

Gibt es eine Story dazu, wie du auf das Bild gestoßen bist?

Bei dem Durchforsten des Bestands haben wir nur die Negative angeschaut. Erst jetzt, wo wir die Digitalisate vorliegen haben, können wir mal so ranzoomen. Und so habe ich gesehen, da im Schaufenster ein Plakat von ihrer Ausstellung hängt.

Wie erschließt du dir dann den Kontext von so einem Bild?

Zu der ganzen Frauen- und Lesbengeschichte gibt es nur sehr wenige Materialien, und nur ein kleiner Teil ist digitalisiert, da kommt man mit Online-Recherche nicht so wirklich weiter. Wir haben also selbst nochmal im FFBIZ und im Spinnboden recherchiert.

Das ist ja spannend, dass es dann mit dir und Janika so ein kleines Kompetenzzentrum gibt. Also eure Augen haben diese ganzen Bilder gesehen, die da so kontextlos rumschweben.

Wir tragen alles, was wir herausfinden in eine Datenbank ein, die es im Haus noch nicht so lange gibt. Insofern spielen wir hier eine Vorreiter*innenrolle. Und für die Institution Schwules Museum ist es jetzt auch ein wichtiger Moment für die Geschichte des Hauses, sich auf so einen Frauen- Lesbenbestand zu konzentrieren und den online sichtbar zu machen.

Hast du zu der Fotografie, die du dir rausgesucht hast, eine persönliche Verbindung?

Ich finde es schön, dass aus dem Bild hervorgeht, dass es zu der Zeit Räume gab, in denen sich vor allem Frauen und Lesben getroffen haben, ihre Kunst und Aktionen gemacht haben und relativ sichtbar in der Potsdamer Straße waren. Das führt mich zu dem Gedanken: Wo sind die Räume eigentlich jetzt? Wo trifft man sich jetzt? Wo wird queere Kunst gemacht und wo werden Aktionen vorbereitet? Wo gibt es diese Safer Spaces, wo man sich aufhalten kann? Es gibt eine witzige Verlinkung zu einem anderen Objekt im Museum. Das ist das Leuchtschild von Lena Rosa Händle mit dem Schriftzug „Pelze“ und referenziert diesen nicht mehr existierenden Ort.  Auf Petra Galls Bild sieht man also diesen Ort mit der Leuchtschrift drüber und Menschen auf einer Leiter, die gerade das Banner anbringen für die Internationale Frauenfestspielwoche. Und es geht ein*e Passant*in vorbei und guckt so rüber über die Schulter und fragt sich wahrscheinlich: „Was machen die da eigentlich im Pelze?“. Das finde ich sehr schön an dem Bild.

Gibt es noch andere Schätze, die im Schwulen Museum fehlen? Von denen du gerne noch mehr sehen würdest?

Ich glaube mein Ansatz ist eher, dass wir so viele Schätze haben, die noch nicht sichtbar sind. Das ist ein Vorteil von Digitalisierung, man bekommt dadurch einen einfachen Einblick. Aber ich glaube schon, dass der Bestand sich sehr auf schwule Geschichte konzentriert, das ist aus der Geschichte des Hauses verständlich. Ich glaube, dass sich das mittlerweile ein bisschen aufweicht und auch trans und Lesbenbestände dazu gekommen sind, die man sichtbar machen muss. Das ist der Grund für meine Arbeit und die Digitalisierung in diesem Projekt: Das wir so einen coolen, barrierefreien Einblick in unsere Bestände geben können.

Ein Lob auf die Archivarbeit!  Danke, dass du dir Zeit genommen hast!

 

Interview: mino Künze